Erhellendes zum Thema Sonnenfinsternis
Krankheiten, Kriege, Katastrophen...
Sonnenfinsternisse im Spiegel populärer Literatur
Dr. Ingrid Tomkowiak
Die Sonnenfinsternis am 11. August dieses Jahres wirft bereits ihren Schatten voraus: Zahlreiche Zeitschriften und Internetseiten erläutern das Geschehen am Himmel für Hobbyastronomen, und die
SBB bietet kulinarisch attraktive Reisen zum Kernschatten an. Der den Parawissenschaften stets aufgeschlossene Moderator Franz Alt diskutiert in seiner Sendung "Querdenker" mit einem Strahlenbiologen und einer Berufsastrologin den Zusammenhang von Sonnenfinsternis, Nostradamus und Plutonium, denn am 11. August 1999 nähert sich um die Zeit der Sonnenfinsternis eine mit 35 kg hochgiftigem Plutonium beladene US-Raumsonde der Erde bis auf 1.000 Kilometer, und Nostradamus soll exakt für diesen Tag eine kosmische Katastrophe vorhergesagt haben.Das ist indes noch nicht alles. Andere astrologisch ausgerichtete Angebote etwa vergleichen die Sonnenfinsternis am 11.8.99 mit jener am 31.8.1932 - also vor Hitlers 'Machtergreifung'. Laut Astrµ-Institut Udo P. Pohlner gilt eine Sonnenfinsternis stets als dunkles Omen für die Herrscher und deren Völker. So sei auf die Sonnenfinsternis 1905 in San Francisco ein Erdbeben mit ca. 1000 Toten und auf diejenige 1976 in China eines mit über 650.000 Toten gefolgt. Für die Kenntnis der Zeitqualität der kommenden Sonnenfinsternis seien die Prophezeiungen von Nostradamus und Edgar Cayce sowie der Bibel sehr nützlich. Danach sei mit Krieg, Überschwemmungen, Vulkanausbrüchen und Erdverschiebungen zu rechnen. Bei solchen Entsprechungen mit den Offenbarungen zur Endzeit, zum Herannahen des Jüngsten Tages, müsse man diese Prophezeiungen sehr ernst nehmen. Dem esoterisch orientierten Menschen müsse überdies nicht extra gesagt werden, daß er sich während dieser Zeit nicht im Kernschatten aufhalten solle! Der wahre Esoteriker bemühe sich, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten - und entsprechend zu handeln. Einsicht, Glaube, Hoffnung seien die einzigen Qualitäten, um den Menschen über diese schweren Zeiten hinwegzuhelfen.
Natürlich gibt es auch speziell auf die Sonnenfinsternis zugeschnittene astrologische Beratungsangebote. Die Wirkung von Sonnenfinsternissen auf unser Leben bzw. auf die Erde generell liege bei einem Jahr vor dem Ereignis bis zu einem Jahr danach. Es seien nachhaltige, umwälzende und erneuernde Vorkommnisse auf der Welt und im weitesten Sinne auch im Leben des einzelnen Menschen zu erwarten. Für ATS 400,- pro Stunde zeige uns die Astrologie nun objektiv, wie sich jeder von uns am besten verhalten könne. Alte überholte Muster und Verhaltensweisen sollten dabei über Bord geworfen werden.
Für die Sektenführerin Uriella ist es heute schlimmer auf dieser Erde als zur Zeit der Sintflut sowie von Sodom und Gomorrha. Damit die Erdenbürger aufwachen, in ihrem Sündigen einhalten, ihre Fehler bereuen und Buße tun, also ihre Gesinnung und Lebensweise ändern, sende der strafende Gott, wie schon in der Bibel beschrieben, Katastrophen als Zeichen des nahen Weltuntergangs: Börsencrash, Krieg, Überschwemmungen, Epidemien und Erdverschiebungen durch herabstürzende Planetoiden. Nach dem Weltuntergang folgt nach Uriellas Auslegung auf dieser Erde das "Goldene Zeitalter" von 1000 Jahren für das gerettete Drittel der übriggebliebenen gottesfürchtigen Menschen. Angesichts solcher Horrorszenarien sehen sich kirchliche Informationsstellen genötigt, auf die mit der Angstmacherei vor dem Weltuntergang verbundenen Unterwerfungsstrategien einer Uriella aufzuklären.
Wollte man einen solchen Umgang mit dem Ereignis Sonnenfinsternis lediglich abgeklärt lächelnd in die Ecke des Aberglaubens stellen und ihm den Stempel der Geringwertigkeit (im Verhältnis zu höherwertigen Denkgewohnheiten) aufdrücken, würde man verkennen, daß solche mit Sonnenfinsternissen verbundenen Endzeitvorstellungen in einer kontinuierlichen literarischen Tradition apokalyptischer Aussagen und Motive stehen, die hinsichtlich ihrer Themenwahl nicht der Phantasie, sondern einer Denk- und Erzähltradition folgen. Ein Blick auf diese Tradition, die ihre Hochkonjunktur in der Frühen Neuzeit, also zu Lebzeiten des besagten Nostradamus hatte, kann für die Einschätzung der heutigen Untergangspropheten und ihrer Gläubigen vielleicht von Nutzen sein.
Sonnenfinsternisse gehören zum Repertoire der außergewöhnlichen Naturerscheinungen, denen man schon in der Antike Zeichenhaftigkeit unterlegt hatte und die vor dem christlichen Horizont als göttliche Mahnungen und Zeichen bevorstehenden Unheils oder der Endzeit aufgefaßt wurden. Für Zeichen dieser Art gibt es seit der Antike u.a. die Begriffe prodigium oder monstrum; auch die Begriffe omen und signum waren gebräuchlich. In der einschlägigen deutschsprachigen Literatur ist zumeist von 'Wunderzeichen', 'Wunderwerken' oder einfach 'Zeichen' die Rede.
Die Basis der eschatologischen Grundstimmung ist - vor allen anderen Argumenten, deren genügend vorhanden sind - das 24. Kapitel des Matthäus-Evangeliums: Die Jünger fragen den Herrn nach den Zeichen seiner Zukunft und des Endes der Welt. Darauf prophezeit Jesus Kriege, Erdbeben, Pest und Teuerung. Falsche Christi würden auftreten, dann würden die Sterne vom Himmel fallen, die Sonne und der Mond würden "sich verfinstern", und schließlich werde die Menschheit das Kommen des Menschensohns in den Wolken des Himmels schauen.
Die Blütezeit der Prodigienliteratur fällt mit historischen Krisenzeiten zusammen. Die Jahrzehnte zwischen 1550 und 1660 waren geprägt von Agrarkrisen, Pestepidemien und kriegerischen Auseinandersetzungen. Durch die Agrarkrisen wurde ein wahrer Krisenmechanismus in Gang gesetzt: Kaufkraftschwund, Entlassungen, Auftragskürzungen, Nichtmehrbeschäftigung von Tagelöhnern. Am Ende standen Massenarbeitslosigkeit und Verelendung ganzer Bevölkerungsschichten. Doch nicht nur materielle, auch geistige Krisen erschütterten diese Zeit. Das Auseinanderbrechen der mittelalterlichen Kircheneinheit infolge der Reformation (1517) hatte eine tiefe Verunsicherung der Zeitgenossen zur Folge.
Prodigienschreiber stellten unmittelbare Bezüge her zwischen den biblischen Prognostika und aktuellen Geschehnissen. Häufig beriefen sich die Verfasser einer Prognostik zunächst auf vergangene Beispiele, um damit die von ihnen erwarteten Folgen zu belegen. Geschichte war nicht für sich selbst bedeutsam, sondern durch ihren exemplarischen Wert für die Deutung eines gegenwärtigen Ereignisses. Meist ging es ganz allgemein darum herauszustellen, daß z.B. auf jede Sonnenfinsternis bisher noch immer eine Katastrophe gefolgt sei. Man entwickelte damit eine Art von Prognostik, die sich ausdrücklich auf die Erfahrung berief, noch ehe die empirischen Wissenschaften 'Erfahrung' zum Kampfbegriff gegen den Aberglauben erhoben hatten.
Die Verfasser deuteten die außergewöhnlichen Naturerscheinungen ebenso wie die materiellen und geistigen Krisen als Zeichen, mit denen Gott die Menschen zur Abkehr von der Sünde, zu Reue und Buße mahnen wolle. Das Publikum wurde mit einem permanent schlechten Gewissen ausgestattet und zu erhöhter Selbstkontrolle angehalten, um nicht den drohenden Zorn Gottes auf sich zu ziehen. So konnte die auf Nachrichtenflugblättern und in Kompendien publizierte Prodigienliteratur nicht nur zur Sozialdisziplinierung beitragen, sondern auch als Instrument zur gesellschaftlichen Konsolidierung genutzt werden, indem einem verängstigten Publikum Elemente einer umfassenden allgemeingültigen Ethik offeriert wurden. Die vorher durch die Darstellung angstauslösender Szenerien beim Rezipienten erzeugten emotionalen Reaktionen wurden damit kontrollierbar gemacht.
Als publizistische Reaktion auf Naturkatastrophen, beunruhigende astrologische Konstellationen und politische Krisensituationen verbalisierte die Prodigienliteratur die Angst und Unsicherheit der Menschen und machte sie damit öffentlich. Der Ausdruck individueller Angst trat vor der formelhaften Argumentation in den Hintergrund. Insofern ist es berechtigt, auch von einer kompensatorischen Funktion dieser Literatur zu sprechen.
Überdies wurde das Bedürfnis nach einer plausiblen Erklärung für die Unregelmäßigkeiten im natürlichen Lauf der Dinge befriedigt. Man suchte den Defekt nicht in der Natur selbst. Vielmehr lag in der Abweichung ein Hinweis, ein Fingerzeig Gottes auf einen anderen, moralischen Defekt. Zugleich war das Theodizeeproblem gelöst. Seuchen, Pest, Hunger, Krieg und Tod waren Strafen Gottes, gerechte Maßnahmen im Heilsplan des Allmächtigen, keine Fehler in seiner Schöpfung.
Astrologische Prognostiken kamen seit den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts in eine Krise und wurden nun von den Vertretern einer Astronomie angegriffen, die sich aus ihrem traditionellen Zusammenhang mit der Astrologie zu lösen begann. An der Schwelle zum Zeitalter der Aufklärung gab es eine erkennbare Trennung zwischen der astronomischen Beobachtung der Experten und der Wahrnehmung der übrigen Öffentlichkeit, deren Blick an den Himmel wohl immer noch in erster Linie durch theologische Deutungsmuster geprägt war. Doch nicht mehr nur die Astrologie, auch der theologische Anspruch auf das Deutungsmonopol wurde nun immer offener in Frage gestellt.
Mit der Blüte des Prodigiengeschäftes war es damit vorbei, die Prodigien machten den wahren Wundern der Natur, wie sie von den Naturwissenschaftlern entdeckt wurden, Platz. Autoren und Lesern gelüstete es wieder nach "schöner und lustiger" Unterhaltung, der allgemeine Geschmack wendete sich vom Prodigium zum Kuriosum. Das Bild Gottes wandelte sich von dem eines zürnenden Richters in das eines tröstenden, gnadenspendenden Vaters. Der Publikumsgeschmack war der Moralpredigten müde geworden und mit Wunderzeichen übersättigt.
Gleichzeitig schufen die neuen astronomischen Theorien jedoch erneut Beunruhigung und Orientierungsverlust. Der Sprung von der geschlossenen Welt zum unendlichen Universum, vom Geozentrismus zum offenen Kosmos bewirkte "Furcht vor dem leeren Raum". Katastrophenprognosen wurden zur Angelegenheit der modernen Wissenschaften. Kometen beispielsweise wurden durch die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht mehr als bedrohliche, gottgesandte Anzeichen verstanden, sondern waren feste planetenähnliche Körper auf festen Bahnen, die mit der Erde kollidieren und sie zerstören konnten. Kometen bedeuteten nicht mehr Unglück, sondern bewirkten es. Eine Art der Befürchtung wurde durch eine andere ersetzt.
Die heutige Zeit mit ihren vielfältigen materiellen, geistigen und spirituellen Krisen kennt beide Denkmuster. Während Katastrophen wie Überschwemmungen, Lawinenunglücke oder Epidemien auch materialistisch argumentierenden Wissenschaftlern und Politikern als durch menschliches Fehlverhalten verursachte Zeichen für eine aus den Fugen geratene Natur gelten, fallen Sonnenfinsternisse aus dieser Kausalität heraus. Sie dienen nur jenen Interpreten als Zeichen, die grundsätzlich davon ausgehen, daß Veränderungen im System des Makrokosmos eine entsprechende Wirkung auf den Mikrokosmos Mensch ausüben.